Ein Spezialgebiet meines künstlerischen Schaffens ist über 35 Jahren die Beschäftigung mit mikrotonaler Musik, d. h. einer Erweiterung unseres heutigen Tonsystems um Intervalle, die kleiner sind als der Halbtonschritt, also Drittel- und Vierteltöne. Um diese Möglichkeiten zu erforschen und um eine neue Tonsprache zu entwickeln, ließ ich mir 1978 nach Plänen von Prof. Dr. Martin Vogel von der Universität Bonn, bei dem ich seinerzeit Musikwissenschaft studierte, eine besondere Pfeifenorgel bauen, die Enharmonische Pfeifenorgel.
Klassische Musik enthält auch zahlreiche Mikrointervalle in Akkordfolgen auf in dem Sinne, dass Tonhöhen „vertikal“ angepasst werden, um rein gestimmte Akkorde zu erhalten.
In unserem modernen temperierten Tonsystem korrigiert der Hörer psychologisch die Intonation mit seinem „inneren Gehör“, wenn er Musik auf Instrumenten mit festen Tonhöhen hört.
Ein einfaches Beispiel kann dies veranschaulichen, die Akkordverbindung C-Dur, E-Dur, F-moll, mit G, Gis und As in der Oberstimme.
Zunächst die „normale“ temperierte Akkordfolge. Wenn man sich nicht sonderlich auf die Oberstimme konzentriert, hat man den Eindruck, die Oberstimme würde leicht ansteigen, was jedoch nicht der Fall ist.
Denn in temperierter Stimmung sind die Töne Gis und As zu einem einzigen Ton eingeebnet, d. h. Gis wird etwas höher, As etwas tiefer gestimmt als rein. Für beide Töne gibt es daher nur eine Taste auf der Tastatur.
Wir hören also, verglichen mit orientalischen Tonsystemen, in einem groberen Raster, das für die Entwicklung der Polyphonie unvermeidlich war. Der Unterschied zwischen einem diatonischen und einem chromatischen Halbtonschritt bedeutet eine Veränderung der Erlebnisqualität, der Tonschritt A zu Bb (Frequenzverhältnis 15/16) klingt zwar sehnsuchtsvoll, aber entspricht der Hörgewohnheit, während der engere chromatische Tonschritt von A zu A# (24/25) fast wehmütig klingt,
Halbtonschritt diatonisch/chromatisch:
Hier die gleiche Akkordfolge in reiner Stimmung, die Viertelton-Differenz in der Oberstimme wird hörbar, aber der kleine Tonschritt wird nicht als diskreter Tonschritt gehört, sondern als Tonhöhen-Korrektur, was zeigt, dass sich unsere psychologische Intervall-Grenze beim Halbton befindet.
C-E-Fm rein gestimmt:
Die Erfahrung zeigte, dass eine Akkordfolge in reiner Stimmung, die Kreuz- und B-Töne ausreizt, nicht ihre Identität verliert, wenn sie auf einem temperierten Instrument gespielt wurde. Das zeigte, dass sich das musikalisches Denken noch sehr innerhalb des „Bannkreises“ des 12tönigen Quintenzirkels bewegte.
Hier das Beispiel einer typisch romantischen Akkordfolge. Die Tonhöhen-Anpassungen haben einen gewissen Ausdruck und Charm, ändern aber nichts am musikalisch „Gemeinten“, d. h. man würde sie nicht vermissen, würde diese Akkordfolge in temperierter Stimmung erklingen. Enh. Romantische Kadenz:
Hier das Fragment einer Chaconne, die den Vierteltonschritt exponiert vorführt.
Enh. Chaconne:
Hier eine Art impressionistischer Akkordfolge, die zwischen Kreuz- und B-Tönen wechselt. Enh. Adagio:
Die „normalen“ westlichen Ohren hören kleine Intervalle unterhalb des Halbton-Limits vornehmlich als Ornamente, besondere Färbung etc., nicht als diskreten Tonschritt.
Meine Ambition war und ist es, Mikrointervalle als konstruktives, unterscheidendes Element in die Komposition zu integrieren in dem Sinne, dass diese Intervalle eine wichtige Rolle für die Essenz eines Stückes spielen.
So schrieb ich ein Stück, das mit einem Vierteltonmotiv beginnt, die Paraphrase über den Adventchoral „O Heiland, reiß die Himmel auf“:
1999 erklangen in einem Konzert mit dem Chor „Capella piccola“ aus Neuss in St. Petrus-Canisius in Köln-Buchforst einige Werke für Chor und Enharmonische Peifenorgel.
Hier Auschnitte davon.
Chorsatz „O komm Immanuel“:
Vocalise für Sopran & Enh. Orgel:
Chorsatz „Wie die Sonne sich erhebt“:
Chorsatz „Es kommt ein Schiff gefahren“:
Scherzo enarmonico:
Hier eine Videoaufnahme mit der Enharmonischen Orgel für das Japanische Fernsehen, ausgestrahlt auf BS ASAHI am 9.2.2008 im Konzertsaal des Prayner Konservatoriums Wien mit meinem „Danse macabre“. Statt der Spezialtastatur werden die beiden Normalklaviaturen vierhändig gespielt, wodurch die Vierteltonfigurationen spielbar sind.
Danse macabre:
Die CD „Celestial Gardens“ wurde in akustisch reiner Stimmung aufgenommen, d.h. die Instrumente wurden entsprechend gestimmt, wodurch es möglich war, Mikrointervalle im Rahmen einer meditativen tonalen Musik zu verwenden. Die Zielsetzung war, meditative Musikstücke um ein ganz neues, ungewohntes Element zu erweiteren, ohne die Hörgewohnheit „normaler“, d. h. nicht-spezialisierter Musikfreunde übermäßig zu irritieren. Der Reiz der Mikrointervalle besteht für mich u. a. darin, dass sie eine neue Erlebnisqualität ermöglichen, denn sie liegen außerhalb unserer kulturell bedingten Hörgewohnheit.
In den Videos hier sind nur wenige Intervalle ungewohnt, im Danse médiévale wechselt in der Krummhorn-Passage der Intervallsprung zwischen der septimalen Kleinterz 6/7 und der Terz 5/6, in der Pavane über den Enharmonischen Tetrachord hört man den Schritt zwischen beiden Intervallen unmittelbar. In der Vokalise wird die quasi gleitende (glissando) Qualität der Vierteltonskala zum Ausdruck einer klagenden Stimmung („Lamentation of Creation“) verwendet.
Videos on Youtube:
Danse médievale
Pavane on the enharmonic tetrachord
Vocalise
Die Musik meiner Märchenvertonung zum keltischen Mythos „Eideen“ verwendet ein Vierteltonmotiv, um den regenbogenfarbenen Palast zu illustrieren.
The rainbow coloured palace
Dank verschiedener Orgelsampleklänge einschließlich Zungenstimmen und auch Röhrenglocken konnte ich „Carillon“ komponieren, das ebenfalls auf einem Vierteltonmotiv basiert: